Journal 1/2008: Wie man Lehrern die Leviten liest

29.01.2008

Heute loben wir den Idealismus. Es handelt sich hier um eine edle Eigenschaft, die arg in Bedrängnis geraten ist. Man kann die Menschheit grob in zwei Kategorien einteilen: die Geschäftsleute und die Idealisten. Die Geschäftsleute sind, wie der Name sagt, auf der Welt, um Geschäfte zu machen. Niemand käme auf den Gedanken, ihnen vorzuwerfen, sie würden ständig nur ans Geld denken. Wir bewundern ganz im Gegenteil die Geschäftsleute für ihr Talent, viel Geld in immer noch mehr Geld zu verwandeln.
Die Idealisten sind, im Vergleich zu den Geschäftsleuten, nicht nur eine verschwindend kleine Minderheit, sondern zudem eine Menschengattung, die sich lieber zweimal überlegen sollte, das Wort "Geld" überhaupt in den Mund zu nehmen. Geld und Idealismus schließen einander aus. Es wäre gut, wenn die prominentesten Idealisten, die Lehrerinnen und Lehrer, diesen verpflichtenden Grundsatz beherzigen könnten. Ihre Tätigkeit ist nämlich kein Beruf, sondern eine Berufung. Berufene wenden sich immer und überall vom schnöden Mammon ab. Sie wissen nämlich: Unsere Arbeit beschäftigt sich mit den noblen Schichten im menschlichen Wesen, und für das Glück einer derart hehren und zudem therapeutischen Lebensaufgabe verlangt man prinzipiell kein Geld.

Herr Juncker ist nur deshalb fuchsteufelswild, weil die Lehrer so stümperhaft sind, nur mit einem kleinen Schulstreik zu drohen.

Die Lehrer und Lehrerinnen sollten sich dringend ein erbauliches Beispiel nehmen an anderen hervorragenden Idealisten. An Ärzten etwa oder an katholischen Geistlichen. Hat man je von einem Arzt gehört, der sich so etwas Schnödes und Verwerfliches wie eine geregelte Bezahlung zumuten würde? Nein, diese Idealisten leben allesamt von den spärlichen Spenden ihrer Patienten, die zudem ausbleiben, wenn sich die Arzte stressbedingte Kunstfehler leisten. Auch unsere Pfarrer, von Gott persönlich berufen, pfeifen demonstrativ auf jede Besoldung. Der Erzbischof haust sogar in einer Hütte aus Wellblech und kocht sich jeden Tag einen Tee aus handgesammelten Kräutern heimischer Wälder. Gehaltsforderungen sind auch für diese Idealisten nur eine bedauerliche Perversität, ein Gipfel der Infamie.

Dass Lehrerinnen und Lehrer überhaupt ein Gehalt beziehen, beruht auf einem historischen Missverständnis, das vermutlich die paar Geschäftsleute unter den ansonsten idealistischen Politikern angezettelt haben. Dass die Lehrerinnen und Lehrer jetzt auf einmal lautstark darauf pochen, der Staat müsse ihre Studien und Diplome anerkennen, kann uns nur zutiefst erschrecken. Denn auf diesem Weg erfahren wir fassungslos, dass diese Berufenen, die das unschätzbare Privileg genießen, unseren Kindern in die Welt hinein helfen zu dürfen, überhaupt einen der art barbarischen Geldreflex haben können. Von Studien und Diplomen zu reden, ist mit dem Ehrenkodex von Idealisten unvereinbar. Daher verstehen wir nur allzu gut unseren Premier Juncker, den der heilige Zorn packte, als er vom Idealismus verrat der Lehrerinnen und Lehrer erfuhr. Seine "heftige Reaktion" ist überaus deutlich: Man verknüpft sei ne Karriere nicht mit anstehenden gesellschaftlichen Reformen. Das ist unmoralisch, abscheulich und radikal volksfeindlich.

Herr Juncker weiß bestens, wovon er spricht. Aus diesem Grund zirkuliert eine hässliche Theorie, die folgendes sagt: Es geht dem Premier gar nicht um den Kern des Lehreraufstands, sondern nur um dessen Form. Er ist nur deshalb fuchsteufelswild, weil die Lehrerinnen und Lehrer so stümperhaft sind, lediglich mit einem kläglichen kleinen Schulstreik zu drohen. Das hat kein Format, das ist purer Amateurismus. Warum zum Teufel verfahren die Schulidealisten nicht nach der bewährten Methode Juncker? Jedes Schulkind weiß doch, wie der Idealist Juncker sich anlegte, um seine Karriere mit anstehenden gesellschaftlichen Reformen zu verknüpfen. Er hat gezielt ein ganzes Volk erpresst und in Geiselhaft genommen, nur damit die europäische Verfassung in Luxemburg und zu gleich seine eigene Karriere nicht Schiffbruch erlitten. Hat Herr Juncker etwa damit gedroht, nur seine Schulklasse, das Parlament, für ein paar Tage zu bestreiken? Nein, er hat damit gedroht, das ganze Land und das ganze Volk endgültig im Stich zu lassen, er hat mutig den globalen Liebesentzug in die Waagschale geworfen.

Das hatte Stil, das war klasse!

Der Lehrerschaft mangelt es offenbar an Rückgrat, ihre Forderungen nach dem Vorbild von Herrn Juncker durchzusetzen. Das macht den Premier unendlich traurig. Er hat sich von den Idealisten an der Schulfront wahrlich mehr Mumm erwartet. Alle Lehrerinnen und Lehrer wandern unwiderruflich aus nach Brüssel! Das wäre Idealismus hoch zehn. Aber wie gesagt: Wir berufen uns hier auf eine hässliche Theorie.