GEW will mehr Chancengleichheit durchsetzen

22.02.2001

Hannover - Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt Maßnahmen zum Abbau von Chancenungleichheit in der Bildung. "Durch frühe Förderung in Kindergärten mit Bildungsauftrag, weniger Selektion nach vier Grundschuljahren und mehr Ganztagseinrichtungen müssen der Anspruch auf Chancengleichheit eingelöst und die Zahl der Schulversager gesenkt werden."
Diese Forderung erhoben die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange und der stellvertretende GEW-Vorsitzende Norbert Hocke auf einer Pressekonferenz während der Bildungsmesse in Hannover.
Vor allem durch "Bildung von Anfang an" und zusätzliche Bildungsinvestitionen in sozial benachteiligten Regionen soll die Zahl der Schulversager von derzeit rund neun Prozent deutlich reduziert werden. Wörtlich sagte Stange: "Wo es die meisten Probleme gibt, muss am meisten getan werden." Die Devise müsse deshalb lauten:
"Ungleiches ungleich behandeln."
Der Anspruch, durch Bildungsreformen mehr Chancengleichheit zu erreichen, sei nicht eingelöst worden. Stattdessen seien zu "alten Ungleichheiten neue Benachteiligungen" hinzugekommen. Dabei habe Bildung noch verstärkend gewirkt, erklärte Stange.
Noch immer sei in erster Linie der Beruf des Vaters vor den tatsächlichen Leistungen der Kinder ausschlaggebend für deren Bildungskarriere. So besuchten nur etwa zehn Prozent Arbeiterkinder ein Gymnasium, obwohl der Anteil der Arbeiter in der Bevölkerung bei 40 Prozent liege. Umgekehrt kämen fast drei Fünftel der Gymnasiasten aus Beamtenfamilien, die in der Bevölkerung nur einen Anteil von zehn Prozent hätten.
Insgesamt entschieden "das Geschlecht sowie soziale, ethnische, religiöse und regionale Herkunft mehr über Lebenschancen als das, was Kinder und Jugendliche in Schule und Ausbildung tatsächlich bringen", sagte Stange. Chancenungleichheit beginne mit der Geburt und ziehe sich durch das ganze Leben. Diesen Lebensrhythmus gelte es zu durchbrechen. In der Bildungspolitik müssten die Prioritäten neu gesetzt werden. Entscheidend sei die frühkindliche Erziehung. Hier würden "die Weichen für das lebenslange Lernen gestellt". "Der Kindergarten muss zur Bildungseinrichtung Nummer eins werden", verlangte die GEW-Vorsitzende. Er dürfe nicht länger "nur Parkhaus für die Kleinen sein", sondern müsse seinen Bildungsauftrag erfüllen können.
Dazu müssten entsprechende Rahmenbedingungen für Kindertageseinrichtungen geschaffen werden. Sie dürften nicht abhängig sein von der jeweiligen Haushaltslage der Kommunen und der Träger.Mindestens ein Prozent des Bruttosozialproduktes müsse für die Bildungseinrichtungen der Kinder unter fünf Jahren zur Verfügung gestellt werden. Dies entspräche ca. 37 Milliarden Mark. Tatsächlich würden jedoch mit rund 20 Milliarden nur gut die Hälfte öffentlicher Mittel für diesen Bereich ausgegeben.
Die Grundschule müsse vom Auslesedruck befreit werden, "damit sie mehr für die begabungsgerechte Förderung und zum Ausgleich von Benachteiligung" tun könne. In diesem Zusammenhang verwies Stange darauf, dass in Europa nur noch in wenigen Ländern wie in den Niederlanden, Österreich, Portugal und einigen Schweizer Kantonen nach vier Grundschuljahren selektiert werde.
Mehr Ganztagseinrichtungen müssten der heutigen Lebenswirklichkeit der Kinder und Familien gerecht werden. In Kooperation von Lehrern und Sozialpädagogen müssten "unterschiedliche Formen und Phasen des Arbeitens und der Freizeitgestaltung in einen sinnvollen Lernrhythmus" gebracht werden. Wörtlich sagte Stange: "Unser Ziel muss sein: Kein Kind darf ohne Abschluss die Schule verlassen."
GEW 22/02/2001