DOSSIER Schulautonomie

27.08.2003

Im Rahmen der vom MENFP angestrebten Reform der "Conseils d'éducation" ist zur Zeit die Autonomie der Sekundarschulen ein vielbesprochenes Thema.
Das Unterrichtsministerium hat auch in dieser Frage bereits viele Scherben gemacht.
Unser Dossier wirft die Hauptfragen auf und stellt das Ministerium vor seine Verantwortung.



Schulautonomie - Wir wollen kein trojanisches Pferd !


Wechselnde Bedeutung eines Begriffs

Autonomie: ein positives Wort, der alt-griechischen Herkunft entsprechend die Freiheit, seine eigenen Gesetze zu machen; gleichbedeutend also mit Selbstbestimmung.
Andererseits aber auch ein Begriff, welcher einschränkend gegenüber dem der Unabhängigkeit gebraucht wird; so spricht man von einer autonomen Region im Sinne von selbstverwaltenden Strukturen im Rahmen einer durch die Zentralgewalt klar begrenzten Machtbefugnis.


Ein Haufen Fragen ...

Die Gründe politischer oder administrativer Autonomie sind vielseitig; einmal erfolgen die entsprechenden Zugeständnisse, um damit einen teuren Konflikt oder gar Krieg zu beenden; ein andermal, um billiger zu wirtschaften oder neue Potentiale zu fördern.
Immer aber ist politisches Kalkül im Spiel; Macht wird kaum aus menschenfreundlichen Beweggründen an andere abgegeben.

Schulautonomie wirft demnach eine ganze Reihe von Fragen auf:
- Fragen nach den Protagonisten und ihren Zielen;
- Fragen nach den Risiken für die öffentliche Schule;
- Fragen nach der bisherigen und der gewünschten Politik.


... und Risiken für die Schulgemeinschaft

Aus einer zwei Jahre alten Mitgliederumfrage des SEW geht hervor, daß die pädagogische Selbständigkeit vielen Sekundarlehrern wichtig ist und mehr Mitbestimmung verlangt wird.
Jedoch: Parallel zur positiven Beurteilung der Autonomie in der schulischen Organisation und Verwaltung ist eine klare Ablehnung in dienstrechtlichen Fragen zu verzeichnen. Sehr umstritten sind Fragen der schulpädagogischen Autonomie wie beispielsweise Schwerpunktsetzungen und Profilbildung einer Schule, schulspezifische Beurteilungsverfahren und Leistungsformen.

Wie man sieht, sind die Lehrerinnen und Lehrer durchaus bereit, über Autonomie im Interesse der Schule zu reden.
Bei allen positiven Möglichkeiten, die eine größere Selbstbestimmung eröffnen kann, sind sie sich aber gleichzeitig der Risiken bewußt, die eine weitgehende Autonomie in Form eines pädagogischen und/oder finanziellen Abnabelns von der Zentralverwaltung, für sie selbst und für ihre Schule beinhaltet.

Mit Blick auf die vorherrschende liberale Ideologie befürchten sie nämlich keinesfalls grundlos, daß sie sich mit einer zu weit gehenden Autonomie ein trojanisches Pferd in die Schule holen könnten:
- Auseinanderdriften der Programme und Verlust der Übergänge;
- Verlust der Verantwortlichkeit nationaler Politik für die öffentliche Schule und Verdrängung in lokale Verantwortung
(in anderen Worten: die lokale Schulgemeinschaft soll sich mit der ihre Kompetenz übersteigenden Mangelwirtschaft selbst belasten);
- Ausgrenzung sozialer Aufgaben durch Konkurrenzdenken zwischen den Schulen und wirtschaftliche Zwänge;
- Abhängigkeit des Personals von der Gunst des Schulleiters;
- finanzielle und damit ideologische Abhängigkeit der Schulgemeinschaft von Privatsponsoren.

So ist leicht zu verstehen, daß die derzeitige massive Förderung der Schulautonomie nicht von Seiten der Lehrerschaft, sondern von den Organen der europäischen Union betrieben wird.
Im europäischen Propagandamaterial zu diesem Thema (wie zu allen anderen Themen übrigens auch), kommen immer wieder die Grundsätze der neo-liberalen Politik von Kommission und Ministerrat zum Vorschein:
- die Schulen sind wie Unternehmen zu bewirtschaften, die in Konkurrenz zueinander eigenständige Profile aufbauen sollen;
- staatlicher Einfluß und Verantwortung sind zurückzudrängen.

Auffallend ist die Unterschiedlichkeit der Standpunkte der Lehrergewerkschaften gegenüber denen der EU-Kommission:
- Während dort (von den LehrerInnen) mehr Mitbestimmung gefordert wird, geht hier (EU-Dokumente) die Rede von mehr Macht für die Schulleiter;
- während dort dienstrechtliche Fragen ausgeklammert werden, steht hier die Personalauswahl durch den Schulleiter im Vordergrund;
- während dort die weitere Verantwortung des Unterrichtsministeriums außer Frage steht, wird hier auf Zusammenarbeit mit Privatfirmen gepocht.


Gleiche Ziele, gleiche Methoden bei den EU-Instanzen ...

Trotz dieser gegensätzlichen Auffassungen findet allerdings eine Auseinandersetzung der EU-Kommission und der nationalen europäischen Regierungen mit den berechtigten Argumenten der viel zitierten "Schulpartner" nicht statt. Mit schwammigen Phrasen über notwendige partnerschaftliche Beziehungen zwischen Lehrern, Eltern und Schülern (und natürlich, den Firmen im Umfeld der Schule) wird die heile liberale Welt der Zukunft über den grünen Klee gelobt; die legitimen Einwände und Forderungen u.a. der Lehrergewerkschaften werden einfach ignoriert.

Eine Illustration der Vorgangsweise der Kommission bietet folgendes Beispiel:
Im Dezember 1996 wurde der Bericht einer Reflektionsgruppe zum europäischen Jahr des lebenslangen Lernens veröffentlicht.
Diese Gruppe bestand bis auf einen Lehrer aus der GEW (der somit ungewollt in eine Alibi-Rolle gedrängt wurde) exklusiv aus Notabilitäten der Wirtschaft, der Hochschulverwaltung und der Unterrichtsministerien - alle von der EU-Kommission selektioniert.
Übrigens war Luxemburg in dieser Gruppe vertreten durch Herrn Henri THYES, Mitglied des Direktionskomitees der Banque de Luxembourg !
Das Resultat der Reflektionen dieser Damen und Herren - die alle natürlich nur ihre eigene Meinung vertreten und vor niemandem (besonders keinem Wähler) verantwortlich sind - wird nun in tausendfacher Auflage vertrieben und gemeinhin zur geltenden Bibel erklärt.
Das hört sich dann in Sachen Schulautonomie wie folgt an:
"D'une façon générale, les pouvoirs du chef d'établissement doivent être renforcés et lui aussi doit pouvoir bénéficier d'une formation. Le but est que chaque établissement fonctionne comme une organisation innovante ayant ses propres buts et capables de mobiliser les moyens nécessaires pour les atteindre. Cela suppose donc que les établissements scolaires puissent mieux s'organiser en équipes pédagogiques (donc avoir un pouvoir important dans le choix des enseignants), qu'ils aient la possibilité de récompenser sur leurs fonds propres les meilleurs éléments et qu'elles deviennent des organisations elles-mêmes apprenantes. ... il est encore très souhaitable que les entreprises innovantes participent d'une façon ou d'une autre à la formation des chefs d'établissement." (S. 82-83)


... und im MENFP

Wen wundert es demnach, wenn das luxemburgische Unterrichtsministerium sich trotz wiederholter Anfragen bisher noch nicht zu einem Gespräch zum Thema Schulautonomie mit den Lehrergewerkschaften, der nationalen Elternvertretung oder der Schülerdelegation durchgerungen hat ?
Wie es scheint, werden hier die gleichen Regeln befolgt wie auf europäischen Plan: Grundsatzdiskussion und Abklärung mit nationalen Ansprechpartnern sind in dieser Frage nicht erwünscht !

Statt dessen knüpfte das MENFP Kontakte mit Vertretern aus einzelnen Schulen und stellte kurzfristig vor einer sogenannten Partenariats-Versammlung in Walferdingen diesen lokalen Vertretern eine Verordnungsvorlage für eine Reform der Conseils d'éducation zu.
Anläßlich dieser Sitzung wurde dann wiederum den erstaunten und zum Teil erbosten Teilnehmern eingeräumt, es handele sich hier nur um eine Diskussionsbasis.
Diese sogenannte "Diskussionsbasis" liegt jetzt wiederum den Lehrerkonferenzen zur Begutachtung vor !


Endlich transparent und demokratisch vorgehen !

Zusammen mit der FAPEEPP und der Schülerdelegation haben SEW-OGBL, FEDUSE-CGFP und APESS die Unterrichtsministerin aufgefordert, Farbe zu bekennen und klar zu sagen, was sie unter dem Begriff Schulautonomie versteht. (Siehe hierzu den Brief an die Ministerin und die entsprechende Pressemitteilung).

Solange nämlich nicht klar ist, wie weit diese Autonomie gehen soll, ist es sinnlos, über eine Anpassung der bestehenden "Conseil d'éducation"-Verordnung zu reden !

Ist die vom MENFP gewünschte Dimension erst einmal bekannt, müssen die nationalen Vertretungen der drei Schulpartner ihre Meinung dazu sagen, Gegenvorschläge machen und ihre Bedingungen vortragen können.
Anschließend muß über die gegensätzlichen Positionen diskutiert und verhandelt werden können. Dies sind elementare Spielregeln der Demokratie; alles andere ist Manipulation !

Die Begriffe Dialog, Partnerschaft und Autonomie sind in letzter Zeit vom Unterrichtsministerium genügend strapaziert worden; darin sind sich Lehrer, Eltern und Schüler einig.
Ein weiteres Signal in die falsche Richtung ist keinesfalls erwünscht !


Guy Foetz

Im Namen der Banque Générale, der Spuerkeess und des Cactus - Amen.


Sponsoring ist derzeit der Renner !
Hier 250.000 Franken von der BGL für ein Lyzeum in Esch, dort die gleiche Summe für zwei weitere in Luxemburg-Stadt; hier Geld für die Speisung eines Internet-Projektes aus der Cactus-Kasse, dort ein neues Carnet de Liaison von der Spuerkeess.... Noch sind relativ kleine Summen im Spiel, zusätzlich steuerlich absetzbar; "Kamellen" für die Geldinstitute, Supermarktketten und andere Wirtschaftsgrößen.
Doch der Anfang ist gemacht und die Tendenz steigend !
Die Lehrerschaft ist gespalten: für einen Teil stellen die Sponsorengelder eine willkommene Einnahmequelle dar, um ohne sonderliche Beschaffungsmühen Klassenausflüge, Schneeferien für die Schüler oder andere pädagogische Aktivitäten zu finanzieren.
Anderen hingegen sind die ganzen undurchsichtigen Krämereien zuwider, worauf sie im Eifer des Gefechts oder hinter vorgehaltener Hand von der ersten Gruppe auch mal zu "Inaktiven" oder "unanpassungsfähigen Dinosauriern" abgestempelt werden.
In der Mitte der Debatte steht, bis jetzt ungerührt wie so oft, die Masse der Unbeteiligten: Kolleginnen und Kollegen, die sich dadurch auszeichnen, daß sie erst überfahren werden müssen, bevor sie reagieren.
Einen interessanten Verlauf nahm allerdings die Debatte kürzlich im Lycée Michel-Rodange.
Ein Brief an das MENFP wurde verfaßt: wenn schon Mäzenatentum erwünscht sei, dann solle die Zahlung an einen "Schulfonds", ähnlich dem Fonds culturel und nicht an einzelne Lyzeen erfolgen!
Endlich ein Funken gesunder Menschenverstand ! Und dazu noch bei Lehrern !
Doch Spaß beiseite: Es ist höchste Zeit, daß wir Lehrerinnen und Lehrer in die Debatte um das Sponsoring eingreifen; wir stehen ja erst am Anfang dessen, was uns erwartet im Falle einer erweiterten Schulautonomie.
Wir werden dann nämlich schnell erfahren, wie finanziell eingeengt diese Autonomie sein wird und wer sich als der Stärkere in der so oft beschworenen, aber ungleichen "Partnerschaft" zwischen Schule und Wirtschaft herausstellen wird.
Schule und Wirtschaft müssen zweifellos zusammenarbeiten, was die Ausrichtung und Verwirklichung der Programme angeht; schließlich geht es ja unter anderem darum, zukünftige Arbeitskräfte richtig auszubilden.
Darauf sollte sich aber die Zusammenarbeit beschränken; keinesfalls darf die Finanzierung der öffentlichen Schule von der staatlichen in private Hand abgleiten !
Die Grenzen sind hier fließend und der Kramladen würde - mit den richtigen Leuten an den Hebeln - schnell in Schwung gebracht.
Worum es den Schulsponsoren geht, ist klar, nämlich um den Einfluß auf die Jugendlichen (im Sinne einer Begleitung des Marktsubjekts "Mensch" von der Wiege bis zur Bahre); die fortschreitende finanzielle Misere der Schulen kommt diesem Bestreben zweifellos entgegen.
Forderungen nach einem offiziellen Hinweis am Schuleingang auf den Sponsor oder nach dem Zugang zur Schüler-Datei - wie sie anläßlich ihres rezenten "Partenariats"-Angebotes von Seiten einer Bank formuliert wurden - deuten bereits jetzt auf eine neue Qualität der Diskussion hin.
Haben wir als PädagogInnen nicht die Aufgabe, uns schützend vor die Jugendlichen zu stellen, die uns anvertraut sind, anstatt sie auch noch vermarkten zu helfen ? (Wer lacht da ?)
Und schließlich: sind wir es uns nicht selber schuldig, unseren Arbeitsplatz und unsere geistige Unabhängigkeit gegen eigennützige Interessen von außen zu verteidigen ?
Oder sind wir in Zukunft etwa bereit, um es mal karikatural zu formulieren, - als Gegenleistung für einen von Banken und Co finanzierten überfälligen Neuanstrich der Klassenzimmer - die Schulstunde mit einem Reklamespruch für die Sponsorenfirma zu beginnen ? Ich frag' ja nur ! Schließlich ist die Zeit, wo schwarz gekleidete Medizinmänner uns das Morgengebet vorgeschrieben haben, noch gar nicht so lange her !
Guy Foetz