Journal 1/2008: PISA, PIRLS, "Epreuves standardisées":der Tanz um das Goldene Kalb (Arendt Patrick)

29.01.2008

Journal 1/2008: PISA, PIRLS, „Epreuves standardisées“:der Tanz um das Goldene Kalb (Arendt Patrick)


Das lange im Voraus angekündigte Erscheinen der Resultate der PISA Studie hat längst den Status eines medialen Großereignisses erreicht. Die Veröffentlichung der ersten Tabellen mit dem Ranking der Teilnehmerländer, kurz vor dem offiziellen Termin auf den Internetseiten einer spanischen Gewerkschaft, war allen internationalen Großmedien eine Nachricht wert und rief die ersten Kommentatoren auf den Plan. In der folgenden kurzen Analyse soll jetzt nicht, wie das wahrscheinlich von einer Gewerkschaft erwartet wird, unsere Einschätzung der Resultate der Studien wie PIRLS oder PISA erfolgen, sondern im Allgemeinen die Zielsetzung und Legitimationen der Evaluationsstudien kritisch hinterfragt werden.

Ich will es gleich vorweg nehmen: jeder der die Studien als solche oder deren wissenschaftliche Aussagekraft in Frage stellt, sieht sich schnell als Ewiggestrigen betitelt. Dabei hagelt es auch aus wissenschaftlich anerkannten Kreisen Kritik an der Methodik und an den Schlussfolgerungen von PISA. Der Studie werden statistische Mängel und einigen Projektbeteiligten Regelverstöße vorgeworfen. Trotzdem scheint es, als ob kein besonnener Gedanke dieser geballten Wucht an empirischer Zahlengläubigkeit standhalten könnte. Die Daten, begleitet von einer Vielzahl von statistischen Angaben in meist grafischer Darstellung, werden in Form der Tabelle eines internationalen sportlichen Länderwettkampfes präsentiert. Auf den ersten Blick kann auch der Laie jedes Bildungssystem in einer Rangfolge begutachten. So kommt es, dass die Verantwortlichen der Bildungspolitik, sowie natürlich auch alle Lehrer, die Resultate mit banger Gespanntheit erwarten. Ihnen wird knallhart, untermauert mit wissenschaftlichen Fakten und empirischen Daten, der Spiegel vorgehalten. In einem kurzen Hype bestimmt PISA die Medienlandschaft, Resultate werden kommentiert und Demagogen erscheinen auf dem Plan. Experten, auch selbsternannte, zeigen auf, wo die Versäumnisse der Vergangenheit und die Chancen der Zukunft liegen. Reformen werden angekündigt, die Lehrer beziehen ihre Prügel, aber viel verändert sich nicht. Jeder bedient sich halt der Fakten und Schlussfolgerungen, die seine eigenen Thesen und Forderungen unterstützen.

Leider wurden anlässlich der Vorstellung der PIRLS Studie Korrelation und Kausalität des Öfteren miteinander verwechselt. Ich denke, man sollte doch vorsichtig sein, mit der Interpretation der gesammelten Daten. Wie steht es nun mit der Legitimation von PISA? Diese Frage wurde kaum gestellt. Kritische Anmerkungen wurden als Ablenkungsmanöver und Schutzbehauptungen von «PISA-Verlierern» dargestellt. Auch wir vom SEW müssen uns gefallen lassen, dass wir uns gleich auf die erste PISA Studie gestürzt haben. Wir konzentrierten uns auf Kommentare, Schlussfolgerungen und Fordern von Reformen. Wie alle haben wir nach Finnland geschielt, um das Geheimnis der Sieger zu ergründen. Und haben dazu beigetragen, PISA die Legitimation und den Einfluss zu geben, die es heute in der öffentlichen Meinung besitzt.

Hand aufs Herz: kaum eine der Erkenntnisse von PISA in Bezug auf unser Bildungssystem hat uns alle wirklich überrascht. Das SEW prangerte auch längst vor PISA die soziale Ungerechtigkeit in unseren Schulen an. Die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen sind nicht erst durch PISA erkannt worden.

Die Bildungsinternationale hat vor Erscheinen der Resultate der Schulleistungsstudie vor einem einseitigen Ansatz der Interpretation in Form eines einfachen Ländervergleichs gewarnt. Es scheint, als ob die Bildungssysteme der teilnehmenden Länder nur auf ein gutes Abschneiden bei PISA ausgerichtet werden sollen. Es scheint tatsächlich niemand mehr die Legitimation der Studie hinterfragen zu wollen. Was bezweckt die OECD mit PISA? Will die OECD mit PISA die Bildungssysteme lenken oder beeinflussen?

Viele Aussagen in Bezug auf unsere Bildung werden untermauert durch den Nebensatz: «Wie PISA beweist, ….». Dadurch wurde PISA zum Maß aller Dinge. Die Schulen werden gezwungen sich nach den Tests von PISA auszurichten und die Lehrer ihren Unterricht so zu gestalten, dass die Schüler in den Tests die bestmöglichen Ergebnisse erzielen. Es bewahrheitet sich die alte Weisheit: Wer die Items der Tests auswählt, bestimmt was und wie in der Schule unterrichtet und gelernt wird. Die Tests werden zu einem unglaublich effizienten und doch in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbaren Steuerungsinstrument vieler in der Vergangenheit sehr heterogener nationaler Bildungssysteme. So erschafft die OECD das globale Bildungssystem. Standen noch im vergangenen Jahrhundert die erzieherischen Werte der Schule im Fokus erbitterter sozialpolitischer Auseinandersetzungen, so werden die Ziele der Ausbildung unserer Kinder in Zukunft vom PISA Konsortium definiert.

PISA wird von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) durchgeführt. Warum lässt die OECD eine solche Studie durchführen? Ihre Mitgliedsländer definieren sich über Demokratie und Marktwirtschaft. Die OECD, ganz im Sinne der neoliberalen Wirtschaftsordnung, zielt auf eine Steigerung der Produktivität. Also ist nicht weiter erstaunlich, dass sich PISA auf die Fähigkeiten der Schüler im Bezug auf eine spätere Eingliederung in den Arbeitsprozess fokussiert.

Es besteht kein Zweifel, dass die Schule unsere Kinder auch auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorbereiten soll. Aber das kann nicht ihr einziger Zweck sein. Viele von uns haben die Lehrerlaufbahn gewählt, um gegen soziale Benachteiligung in den Schulen zu kämpfen und Werte wie Solidarität, einer der bisherigen Grundpfeiler unserer Gesellschaft, zu vermitteln.

Diese Werte riskieren uns in Zukunft, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch schon in der Schule verloren zu gehen. Es ist kein Zufall, dass PISA auch die Kosten der verschiedenen nationalen Bildungssysteme vergleicht. Unsere Schulen sollen in Zukunft nach den Prinzipien der Produktivität und der internen Konkurrenz funktionieren. Als Lehrer muss ich die schulischen Leistungen meiner Schüler mit denen Schüler anderer Länder oder anderer Gemeinden vergleichen lassen. Stimmen werden laut, die Lehrergehälter an diese Leistungen zu verknüpfen. Ich werde mich als Lehrer vielleicht in der Lage wiederfinden, dass ich abwägen muss, in welche Schüler ich meine doch begrenzten zeitlichen Mittel und persönlichen Kräfte investieren will, damit ich den Kriterien höchstmöglicher Produktivität gerecht werde und in Konkurrenz zum Lehrer der Nachbarklasse insgesamt bessere Resultat in den verschiedenen Evaluationstest vorweisen kann. Ob mir wohl die Zeit bleibt, nicht messbare humane Werte zu vermitteln? Sollte ich die ganzheitliche, harmonische Entwicklung meiner Schüler weitgehend unberücksichtigt lassen? Obwohl ich mir bewusst bin, dass die körperliche und psychosoziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ebenso wichtig ist, wie das rein kognitive Lernen.

Zugegeben, die Aussagen wirken etwas überspitzt. Aber wir sollten uns dagegen wehren, dass ein erbarmungsloses Konkurrenz- und Produktivitätsdenken Einzug in unsere Schulen hält. Unsere Aufgabe bleibt es, die schwächeren Schüler zu schützen und nach all unseren Kräften zu unterstützen. Erziehung zu Solidarität, unabhängig von Leistungsfähigkeit und sozialer Herkunft muss eines der höchsten Ziele unser Schulen bleiben, ebenso wie Integration und soziale Kohäsion.

In dem gleichen Sinne steht das SEW sehr kritisch zu der geplanten «Agence qualité», dessen erklärtes Ziel es ist, Schulen und Lehrer in Konkurrenz zu setzen. Mit standardisierten Tests werden, «sozialbereinigt», die Schulen miteinander verglichen. Die Schulen mit im Vergleich schwächeren Ergebnissen, müssen einen «Plan de réussite» aufstellen, um die Leistungen der anderen in kürzester Zeit wieder zu übertreffen. Worauf diese ihrerseits mit dem eigenen «Plan de réussite» aufwarten müssen, um ihre Vormachtstellung zurück zu erlangen. Wir Lehrer dürfen uns dieses kranke Konkurrenzdenken nicht aufzwängen lassen.

Solche Institutionen, die mit der Ausarbeitung der Tests beauftragt sind, neigen in der Regel dazu sich der Kontrolle des Ministeriums, auf dessen Anfrage sie geschaffen wurden zu entziehen. Durch Interpretation der gewonnen Daten und den davon abgeleiteten Vorschlägen zu konkreten Maßnahmen der so genannten Qualitätssteigerung, erlangen sie eine nicht mehr kontrollierbare Macht über das Schulsystem.

Der zeitliche Aufwand der Durchführung der Tests in den Schulen sollte auch nicht unterschätzt werden. Viele Lehrer sehen ihre Rolle nicht darin, die Schüler und die Eltern mit immer mehr Evaluationen zu unterwerfen und dafür kostbare Unterrichtszeit zu vergeuden, insbesondere, da die Evaluation des Schulsystems mit der Evaluation der Schüler vermischt wird.

Es soll allerdings nicht der Verdacht aufkommen, das SEW sträube sich gegen Evaluation. Wie schon früher in anderen Artikeln erwähnt, sind Evaluation und Feedback wichtige Instrumente, um die Qualität der Bildung zu verbessern. Allerdings nur, wenn auf die Evaluation eine sinnvolle Hilfestellung folgt, um die erkannten Problem auf konstruktive Weise zu lösen.

Patrick Arendt,
Membre de la direction
syndicale du SEW