Edito Journal 2-2020

04.07.2020

Covid-19 -Krise:

Kein Wir-Gefühl in der Bildung


IMG_8067.JPGZum jetzigen Zeitpunkt ist es zu früh, eine Bilanz des Krisenmanagements im Bildungswesen zu ziehen. Obwohl alle Zeichen auf eine Rückkehr zur Normalität stehen, müssen wir uns bewusst sein, dass wir uns im Bezug auf die Konsequenzen, nicht am Ende, sondern mittendrin, wenn nicht gar erst am Anfang der Krise befinden. Die Rückkehr zur „normalen“ Schulorganisation wird die Krise nicht auf einen Schlag beenden. Die pädagogischen und emotionalen Auswirkungen auf die Schüler werden über viele Monate spürbar bleiben.

Das Bildungsministerium ist demnach in der Pflicht pädagogische Maßnahmen auf allen schulischen Ebenen auszuarbeiten, damit die Schüler, und insbesondere jene aus unterprivilegierten sozialen Schichten, nicht langfristig die Leidtragenden derPandemie bleiben werden. Es darf keine verlorene „Generation Corona“ geben.

Jede Krise wirkt als Verstärker: Positive wie negative Eigenschaften der Individuen und des Systems potenzieren sich und treten deutlich sichtbarer zu Tage.

In der Grundschule wurde innerhalb kürzester Zeit nach Bekanntgabe der Schließung der Schulen der „Heimunterricht unter Anleitung“ ausschließlich von den LehrerInnen organisiert.

Die regionalen Direktionen waren kaum bis gar nicht hilfreich. Erst nach Tagen meldeten sich die Direktionen zurück, wobei die Reaktionen durchaus nicht einheitlich waren. Während einige Direktionen ihr Möglichstes versuchten die LehrerInnen bei der neuen Herausforderung zu unterstützen, beschränkten sich andere darauf überflüssige administrative Anordnungen zu verfügen.

Es zeigte sich offenkundig, dass sowohl Ministerium wie auch die vielen neuen Gremien, die in den letzten Jahren mit viel Personal ausgestattet wurden, sich in der Regel auf das Management auf Distanz beschränken und sich bei neuen pädagogischen Herausforderungen nicht zuständig fühlen.

Das Fehlen jeglichen Dialoges zwischen den Schulpartnern wurde in der Krise deutlich sichtbar. Bei einer Blitzumfrage des SEW/OGBL wurde deutlich, dass die weit überwiegende Mehrheit der LehrerInnen der Grundschule die inkohärenten Maßnahmen des Ministers nicht befürworteten.

Nur dem ununterbrochenen Einsatz der PräsidentInnen der Lehrerkomitees und der KlassenlehrerInnen ist es zu verdanken, dass die Wiedereröffnung der Schulen nicht im Chaos endete. Leider mussten dabei viele an oder über die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen, um Maßnahmen indie Tat umzusetzen, die nicht als sinnvoll empfunden oder gar abgelehnt wurden.

Eine Abstimmung des Ministeriums mit den Lehrerinnen und den Verantwortlichen der Gemeinden und der Maison Relais hätte viele widersprüchliche Maßnahmen verhindern und mit einem geringerem Aufwand eine den Bedürfnissen der Kinder gerecht werdende Organisation als Resultat haben können. Nicht wenige LehrerInnen waren überrascht, als der Minister nach Wochen der „Ich-Botschaften“ plötzlich von „Wir“ redete. Ein Wir-Gefühl besteht in der Bildung definitiv nicht mehr, zu offensichtlich hat der Minister in den letzten Jahren einen Keil zwischen LehrerInnen und Ministerium getrieben.

Die Krise hat gleichwohl auch die Grenzen der digitalen Medien aufgezeigt. Obschon nach wenigen Tagen der Minister medienwirksam großen Erfolg verkündete, braucht es eine neutrale und kritische Analyse. Dabei geht es nicht nur darum, dass fast alle LehrerInnen auf ihre private Geräte angewiesen werden und dass die Verfügbarkeit der digitalen Medien in den Familien sehr ungleich verteilt ist, sondern eher um fehlende Konzepte des Einsatzes der digitalen Medien. Computer und Internet sind keine Wundermittel. Es reicht schlichtweg nicht aus, mittels der in Luxemburg sicher vorhandenen Geldmittel die Schulen mit der nötigen Hardware auszustatten und darauf zu hoffen, dass sich nun schnelle Lernerfolge fast wie von selbst einstellen werden.

Eine kritische Analyse der Auswirkungen der digitalen Medien auf das Lebensumfeld und das Lernen insgesamt ist dringend nötig.

In diesem Zusammenhang hatte das SEW/OGBL Konferenzen organisiert, die leider der Krise zum Opfer gefallen sind und sicher in den kommenden Monaten stattfinden werden.

Die aktuelle Krise war für alle eine ganz neuartige Herausforderung. Viele Entscheidungen mussten schnell und ohne das nötige Hintergrundwissen gefällt werden und nachher sind wir alle sowieso viel schlauer.

Trotzdem, oder gerade deswegen muss diese Krisenzeit einer kritischen Bilanz unterzogen werden. Das Bildungsministerium täte gut daran, die Akteure vor Ort in diese Gespräche einzubeziehen, um die Sicht aus dem digitalen Elfenbeinturm mit der schulischen Realität zu vergleichen.

Patrick Arendt
Präsident des SEW/OGBL