Das „Enseignement général“: Besser als im nationalen Bildungsbericht dargestellt!
Reaktion auf den nationalen Bildungsbericht
Nach In dem kürzlich erschienenen nationalen Bildungsbericht wird das „Enseignement général“ (ehemals „technique“) von den Forschern stark abgewertet gegenüber den öffentlichen Europaschulen (EPS). Die Forscher berufen sich hierbei auf die Resultate der „épreuves standardisées“, die auf 7ème und 5ème durchgeführt wurden, und ziehen dabei nur das Fach Mathematik in Betracht. An einen Vergleich der allgemeinen Sprachkompetenzen wagte man sich wohlwissend nicht heran. Laut der Studie sind die Mathematikkompetenzen von „Classique“-Schülern besser als die von Europaschülern und Schüler des „Enseignement général“ haben schlechtere Mathematikkompetenzen als Europaschüler. Hier wurde unseres Erachtens nach sehr undifferenziert vorgegangen:
Erstens: In den unteren Klassen des „Enseignement géneral“ (7ème bis 5ème) werden noch alle Schüler zusammen unterrichtet, es wird in Mathematik (und Sprachen) lediglich nach „cours de base“ und „cours avancé“ differenziert. Erst nach der 5ème wird entschieden, ob die Schüler im „Enseignement général“ bleiben oder in die Berufsausbilung wechseln, um dort ein DT („diplôme de technicien“), ein DAP („diplôme d’aptitude professionnelle“) oder ein CCP („Certificat de capacité professionnelle“) zu absolvieren. Zu urteilen, dass ESG-Schüler also schlechtere Mathematik-Kompetenzen als Europaschüler haben, ist voreilig und kann so nicht geschlussfolgert werden: Der nationale Bildungsbericht geht nicht auf die Mathematikkompetenzen der ESG-Schüler von 4ème bis 1ère ein und gerade hier ist die Mathematik in vielen Sektionen ein Hauptfach und durchaus anspruchsvoll.
Hervorzuheben wäre auch, dass die erste Bilanz in Bezug auf die Abschlussexamina in den öffentlichen Europaschulen in Luxemburg viel weniger gut ausfiel als vom Bildungsministerium in einem ersten Anfall von Begeisterung 2023 öffentlich angepriesen. Die Durchfallquote ist an den Europaschulen sehr gering, aber die Abiturienten der EIDE erzielten 2023 in ihren Abschlussprüfungen im europaweiten Vergleich den niedrigsten Punktwert und lagen sogar knapp 10 Punkte (67,80) unter dem europäischen Durchschnitt (77,02). Die Gründe hierfür benötigen in unseren Augen eine genauso detaillierte Analyse, wie die vor allem 2024 hohe Durchfallquote im Abschlussexamen des ESG.
Zweitens: Durch eine komplett missglückte Reform des unteren Zyklus des Sekundarunterrichts ist es in den unteren Klassen des ESG (5ème bis 7ème) bei den schwächeren Schülern zu einem enormen Leistungsabfall in den Hauptfächern gekommen. Die Reform erlaubt es, sogar mit gravierend ungenügenden Noten von 7ème bis 5ème durchzukommen, ohne dass verbindliche Anreize für Schüler geschaffen werden, an ihren Schwächen zu arbeiten. Hier fordert das SEW/OGBL schon lange Nachbesserungen.
Drittens: Der nationale Bildungsbericht stellt fest, dass die Schüler der Europaschulen im Schnitt einen höheren sozio-ökonomischen Status haben als die Schüler des ESG. Das Argument, dass öffentliche Europaschulen Bildungsungerechtigkeiten reduzieren könnten, ist also nicht ganz hieb- und stichfest: Schüler mit sozio-ökonomisch höherem Status haben generell höhere Bildungschancen als Schüler mit sozio-ökonomisch niedrigem Status.
Viertens: Der nationale Bildungsbericht geht nicht auf die Sprachkompetenzen der Schüler ein. Die Anforderungen des Sprachunterrichts sind im ESG zwar niedriger als im ESC („Classique“), aber dennoch können sich alle ESG-Schüler angemessen auf Französisch, Deutsch, Englisch und Luxemburgisch in schriftlicher und mündlicher Form ausdrücken. Auch deswegen ist das ESG eine gute Option.
Die öffentlichen Europaschulen haben für das SEW/OGBL zwar durchaus ihre Daseinsberechtigung, sie sind jedoch auf eine spätere akademische Laufbahn ausgerichtet und somit nicht für alle Schüler geeignet. Zudem ist das nationale Schulsystem prinzipiell besser auf die sprachlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes ausgerichtet und bietet den Schülern viele Ausbildungsmöglichkeiten. Durch die Festlegung ihrer Sprachwahl, ohne Berücksichtigung der Realität der Luxemburger Berufsausbildung und vieler Bereiche des Luxemburger Arbeitsmarkts, verbauen sich viele Schüler im Falle eines Scheiterns im öffentlichen Europaschulsystem den Zugang zur nationalen Berufswelt.
Für das SEW/OGBL kann die alleinige Lösung zur Beseitigung von Bildungsungerechtigkeit nicht die Schaffung von immer mehr öffentlichen Europaschulen sein. Das nationale Schulsystem sollte vom Bildungsministerium nicht vernachlässigt werden: Eine Reform des unteren Zyklus des ESG ist dringend notwendig und sollte in Absprache mit allen Beteiligten geplant und umgesetzt werden.
Mitgeteilt vom Syndikat Erziehung und Wissenschaft des OGBL (SEW/OGBL)
am 17. Dezember 2024