Rentrée: “Nach ni esou ee Chaos”

Artikel aus dem Tageblatt vom 23. September 2017
Rentrée: “Nach ni esou ee Chaos”
SEW Präsident: Personalmangel, aufgegebene Projekte, Privatisierung… Seit 30 Jahren sei er nun Lehrer; so ein Chaos wie bei der diesjährigen „Rentrée“ habe er allerdings noch nie erlebt, so der Präsident der Lehrergewerkschaft SEW/OGBL, Patrick Arendt, mit dem wir uns eine Woche nach Schulbeginn unterhielten.
Der Personalmangel in der Grundschule, von dem das Ministeriumin seinen Rundschreiben auch schon mal von der Lehrerschaft verlangt, dass das Problem nicht mit der Presse besprochen werden dürfe, treibt zurzeit seltsame Blüten.
Klassen mussten zusammengelegt werden, aus Nachhilfestunden wurden normale Unterrichtsstunden, “Accueil”-Klassen für Kinder, die neu im Land sind, werden ebenfalls teilweise fallen gelassen, um den normalen Unterricht garantieren zu können. Von den zwei Stunden, die Schulen jener Gemeinden, die Flüchtlingskinder einschulen, zur Verfügung stehen, geht keine Rede mehr.
Nur nichts zugeben …

Die Lösungsansätze, die das Ministerium – neben dem versuchten Totschweigen der Probleme inklusive versuchter Kommunikationssperre – entwickelt, zeugen derweil von der offensichtlichen Hilflosigkeit an der Aldringen-Straße. Im Norden soll der Mangel an Lehrkräften nun dadurch entschärft werden, dass statt der üblichen mehrwöchigen Schnellausbildung von Ersatzpersonal eine Woche ausreichen soll, um den Interessenten zu erlauben, vor eine Klasse zu treten.
Dass dies im Vergleich zu diplomierten Lehrkräften, die vier Jahre pädagogische Uni-Ausbildung und anschließend drei Jahre Praktikum absolvieren müssen, schon mehr als eine Notlösung ist, liegt auf der Hand.
Problematik sei hausgemacht
Die “Chargés” in den Sekundarschulen seien immerhin in ihrem Fach ausgebildete Akademiker, die lediglich den “Stage” nicht absolvierten. Im “Primaire”, der heutigen Grundschule also, würde der “running gag” unter Lehrern, dass bei Personalmangel, die an der Schule vorbeifahrenden Autos gestoppt werden und die Fahrer zum Unterricht herangezogen werden sollten, mittlerweile zur gelebten Realität werden.
Die Problematik sei zudem hausgemacht, so der Gewerkschaftler und Lehrer, und sie habe einen nachhaltigen Charakter, da immer weniger junge Menschen sich für eine Lehrerlaufbahn entscheiden würden.
Dies liege vor allem am dreijährigen Praktikum, das eine reine Schikane sei, so Arendt. Nicht nur, dass die Periode von ständiger Zukunfts- und Existenzangst geprägt sei; statt, dass die Zeit eine Hilfe und Unterstützung
für die angehende Lehrerschaft sei, auch würde sie die Ausbildung äußerst unattraktiv gestalten. Das Klima in den Schulen werde zudem durch die oben genannten Problematiken immer schlechter: Die Arbeitsbedingungen der Lehrer, die gut sein könnten, seien es leider nicht mehr. Hinzu komme die Tatsache, dass immer mehr ausgebildete Lehrer in der ministeriellen Verwaltung landen würden, so der SEW-Präsident. Welche Arbeiten diese tatsächlich verrichten würden, sei nicht klar.
Diese sollten wieder vor die Klassen, wo sie tatsächlich dringend gebraucht würden.
Aus der Rente in die Klasse
Dies wäre ein realistischerer Lösungsansatz, statt pensioniertes Unterrichtspersonal wieder eingliedern zu wollen oder Mitarbeiter aus den “Maisons relais” als Lehrpersonal benutzen zu wollen, wie aktuelle Pläne des Ministeriums es vorsehen. Bei alledem würde kaum noch an pädagogischen Konzepten gearbeitet werden, groß angekündigte Projekte des MEN würden nicht mehr weiterverfolgt. So etwa der großspurig angekündigte Französischunterricht in der Früherziehung, der sich zu einer “Farce” entwickelt habe.
Arendt fordert das Ministerium auf, die Fehlentwicklungen endlich zuzugeben, mit richtigem Zahlenmaterial zur Personalnot zu arbeiten und sich mit der Lehrerschaft zwecks Lösungsfindung zusammenzusetzen. Auch solle endlich wieder an effizienten pädagogischen Konzepten gearbeitet werden; entsprechende Arbeitszirkel könnten dies übernehmen. Auch im Sekundarunterricht laufe manches schief. So gebe es zurzeit eine Entwicklung in Richtung Privatisierung von Schulen, ohne dass diese politische Neuorientierung diskutiert oder auch nur kommuniziert worden wäre.
Als Beispiel nennt Arendt die englische Filiale im Lycée Michel Lucius. Diese würde von einer britischen Privatschule betrieben; die Prüfungskorrekturen würden in England gemacht; reines Outsourcing also …
Maßnahmen verfehlen Sinn
Zudem würde dies ein Problem bei der Orientierung stellen. Die Filiale, die eigentlich für Schüler, die nur kurz im Land sind, angedacht war, würde mittlerweile hauptsächlich von Schülern genutzt, die Probleme mit Deutsch oder Französisch haben und ihre Schullaufbahn dennoch ohne große schulische Probleme fortsetzen möchten.
Allerdings würden sie mit der dortigen Ausbildung und dem gelehrten Französisch-Niveau, das jenem britischer Schulen entspricht, kaum einen Job in der öffentlichen Verwaltung bekommen und wenn sie studieren wollten, ginge dies nur an teuren englischen Universitäten.
Das vom Ministerium gelobte Computerprojekt (E-Book für Schüler) sieht Arendt als reine Subvention für Apple. Die PCs seien die Schiefertafeln von gestern. Ohne dazugehörende pädagogische Konzepte würden die Geräte keinen Sinn ergeben und zu reinem Spielzeug werden …
Robert Schneider