Schule am Scheideweg

14.03.2017

In der Grundschule scheinen sich die Gemüter beruhigt zu haben. Man könnte denken, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer ihrem Schicksal ergeben haben. Aber unter der Oberfläche beginnt es bedrohlich zu brodeln. Langsam werden sich die Kolleginnen und Kollegen bewusst welche weitreichenden und sehr negativen Konsequenzen die Gesetzesvorlagen haben, die dem Parlament vom Unterrichtsministerium vorgelegt wurden und die wohl in wenigen Wochen, ohne großes Aufheben und ohne weitere grundsätzliche Diskussionen, von den Regierungsparteien durchgewinkt werden.

Die Presse hat sich durch die aufwändige Pressearbeit des
Unterrichtsministeriums einlullen lassen. Die Journalisten werden in kurzen regelmäßigen Abständen ins Unterrichtsministerium eingeladen und von den vielen Maßnahmen und Strukturreformen in einem solchen Maß überrumpelt, so dass eine kritische Berichterstattung kaum noch möglich scheint. Der Aktionismus des Bildungsministers scheint sein Ziel zu erreichen. Die vielen unausgegorenen Projekte werden auch von der Öffentlichkeit nur noch kurz zur Kenntnis genommen. Es bleibt keine Zeit für eine sachliche fundierte Debatte, die Gesetzesentwürfe werden schnellst möglichst durchgepeitscht.

Dabei hatte der Minister bei seiner Amtseinführung noch betont sich nicht ausschließlich auf strukturelle Reformen zu beschränken. Leider ist jedoch genau das der Fall: mit atemberaubender Geschwindigkeit, in einer Art Überrumpelungstaktik werden in kürzester Zeit Strukturreformen auf den Instanzenweg geschickt, deren Tragweite sich die wenigsten bewusst zu sein scheinen. Der Minister stützt sich dabei ausschließlich auf das Abkommen mit der Führung des SNE. Diese wiederum haben alle Mühe ihre Basis zu überzeugen und zu beruhigen. Je mehr die konkreten Details in den Schulen bekannt gemacht werden, umso mehr machen sich Ärger und Resignation unter den Betroffenen bereit.

Viele neue Posten werden geschaffen, deren Inhaber sich auf die Betreuung der Lehrerinnen und Lehrer beschränken werden und die kaum jemals mit den Kindern in Kontakt kommen. Das ist nicht nur kontraproduktiv für die Schulqualität, sondern wird auch zum Frust und der Resignation der Lehrer in den Klassen weiter beitragen. Es ist klar, dass diese verfehlte Schulpolitik in der Ära nach Minister Meisch nur sehr schwer wieder rückgängig gemacht werden kann.

Es wird immer deutlicher, dass man in der Aldringerstrasse kein einziges pädagogisches Rezept zur Hand hat, um den vielen Herausforderungen und Probleme unseres Schulsystems zu begegnen. Die Schulpolitik beschränkt sich darauf Strategien zu entwickeln um die Probleme zu verschleiern.

Hier nur einige Beispiele:

Nachdem unser Schulsystem sich auf Gedeih und Verderb dem Kompetenzunterricht verschrieben hat (ohne jemals eine Vorstellung zu entwickeln wie das in der Praxis konkret umgesetzt werden könnte), musste man feststellen, dass die Resultate der PISA-Studie sich nicht verbessert haben. Also wird nun kurzerhand die Teilnahme Luxemburgs in Frage gestellt. Man wäre wohl besser beraten gewesen Sinn und Zweck von PISA vorher kritisch zu hinterfragen.

Seit Jahren werden immer weniger Schüler nach der Grundschule in ein klassisches Gymnasium orientiert und für fast ein Viertel der Schüler bleibt nur die Hauptschule = régime préparatoire, Modulaire, was nichts anderes heißt, als dass sie die Mindestanforderungen der Grundschule nicht geschafft haben. Durch die Reform der Orientierungs-prozedur werden voraussichtlich wesentlich mehr Schüler, gemäß des Wunsches ihrer Eltern, im ES Unterschlupf finden. Natürlich ohne dass sich die schulischen Resultate verbessert hätten. Der Druck auf die Sekundarschulen, die sich in einer Konkurrenzsituation befinden, wird wachsen, die Misserfolgsquote in ihren Klassen nicht zu erhöhen und es kommt zu der gefürchteten Angleichung nach unten.

Ähnlich sieht es bei der Sprachenproblematik aus. Mehr oder weniger publikumswirksam wurden ein Französich-Unterricht oder ein Sprachbad in einem bilingualen Umfeld in den Kinderkrippen und der Vorschule dekretiert, wobei kein Konzept vorliegt, wie eine solche Strategie irgendwie sinnvoll in die Praxis umgesetzt werden soll. Eine Arbeitsgruppe sucht währenddessen noch ziemlich ziellos nach einem Konzept wie ein Französich-Unterricht schon im ersten Schuljahr gestaltet werden könnte. Die Einführung eines ebensolchen ist allerdings längst beschlossene Sache.

Die strukturellen Reformen der Schule sowie das Fehlen pädagogischer Strategien riskieren in naher Zukunft verheerende Folgen für die öffentliche Schule zu haben. Lehrerinnen und Lehrer werden sich, trotz ihres enormen und ständig steigenden Arbeitsaufwandes, immer mehr bewusst, dass sie unmöglich den reellen Bedürfnissen der Kinder gerecht werden können, dass die Politik immer mehr versucht ihnen die Verantwortung dafür zu übertragen, dass die Probleme verschleiert werden und dass ihnen immer mehr Mittel in der Schule entzogen werden. Resignation macht sich jetzt schon breit.

Die öffentliche Schule steht an einem wichtigen Scheideweg. Die Weichen werden neu gestellt und das für lange Zeit. Der eingeschlagene Weg ist falsch und den Preis werden die Schüler und die Gesellschaft bezahlen müssen. Das SEW/OGBL verlangt, dass die Reformen, die jetzt auf den Instanzenweg geschickt wurden zurückgezogen werden. Die Schulpolitik muss wieder mit allen Akteuren und besonders auch mit den Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam gestaltet werden.

Noch ist es nicht zu spät, aber es ist zu befürchten, dass viele der Betroffenen sich der Konsequenzen erst bewusst werden, nachdem die Reformen umgesetzt wurden und sich die negativen Folgen in aller Deutlichkeit zeigen.




Patrick Arendt